top of page
  • AutorenbildNatalie Lehnert

Vorträge und Fortbildungen halten als Autistin

In meiner Schulzeit habe ich nichts mehr gehasst, als mich vor eine Gruppe Menschen zu stellen und zu ihnen zu sprechen. Wenn sie mich ansahen, fühlte ich mich wie ein einziger Fehler. Irgendwann kam immer der Zeitpunkt, wo mein Anderssein nicht mehr akzeptabel schien und die Reaktionen auf mich und meine Präsenz recht negativ behaftet waren.


Noch vor ein paar Jahren hätte ich mir nie vorstellen können, dass ich mich mal freiwillig (und das regelmäßig) vor eine Masse von Leuten stellen und vortragen würde. Gereizt hatte mich daran überhaupt nichts. Nach meiner Diagnostik verspürte ich vielmehr den Wunsch, Aufklärungsarbeit zu leisten und etwas zu verändern. Tagtäglich erlebte ich bei meinem Job als Integrationshelferin, wie viel Inklusion noch nicht einmal im Ansatz geleistet wurde. Und dabei gehe ich mit meinem I-Kind an eine Schule, die sich wirklich sehr bemüht und die Kinder und ihre Besonderheiten würdigt. Diese Schule ist der Grund dafür, warum ich daran glaube, dass Inklusion an sich möglich ist. An vielen Schulen ist sie leider immer noch zu ausbaufähig und flirtet mit der Integration.


Integration und Inklusion – die Unterschiede:

Integration bedeutet, dass ein behinderter Mensch sich anpassen muss, um geduldet zu werden. Bei der Inklusion geht jeder so weit aufeinander zu, wie es ihm jeweils möglich ist. Dadurch kommt man zusammen.


Meinen ersten Vortrag – und zugleich auch die erste Fortbildung – habe ich online per Zoom gehalten. Das war vor fast genau zwei Jahren. Zur damaligen Zeit habe ich noch für einen anderen Träger gearbeitet als heute. Vor mehreren Kollegen habe ich die Fortbildung gehalten, die insgesamt an zwei aufeinander folgenden Tagen je eineinhalb Stunden ging.

Diese Erfahrung verarbeitete ich mit gemischten Gefühlen, da ich es erstens geschafft hatte und man mit meinen Leistungen zufrieden war. Andererseits war ich einem Shutdown so nah, dass es mich erschreckte. Während ich am zweiten Tag die Fortbildung hielt, spürte ich, wie ich allmählich die Kontrolle über mich selber verlor. Aufgrund meiner Überreiztheit war ich jedoch nicht in der Lage, diese Informationen in ausreichender Geschwindigkeit zu verarbeiten. So bewegte ich mich weiter auf einen Zustand zu, der mich tagelang auslaugt, wenn er nicht vermieden werden kann. Eigentlich war es eher Glück, dass ich ihn nicht erreichte.


Wenn ich einen Shutdown habe, bedeutet dies, dass ich all die Anzeichen vorher nicht deuten konnte. Als allererstes setzt meine Fähigkeit, zu analysieren aus. So sammle ich Informationen, die erst viel später verarbeitet werden können. An diesem Tag kam es zu Übelkeit, Schwindel, Herzrasen und Sehstörungen. Jeder Blick auf den Bildschirm schmerzte mich. Meine Augen wollten sich schließen und doch war es notwendig, sie geöffnet zu lassen. Über den Bildschirm huschten permanent visuelle Reize und nicht ausgeschaltete Mikrofone produzierten Laute, die in meinen Ohren schmerzten.


Mittlerweile habe ich schon viele Vorträge und Fortbildungen gehalten und dabei teilweise auf nette Menschen zurückgreifen können, die mich unterstützt haben. Einige Vorträge und Fortbildungen habe ich mittlerweile schon alleine halten können. Das hätte ich mir vor einem Jahr noch nicht zugetraut. Am schwierigsten sind für mich tatsächlich Online-Termine, da ich dabei die Reize weniger filtern kann. Manchmal genügen dann Kleinigkeiten, um mich in den Overload zu stürzen. Trotzdem mache ich weiter, gehe meinen Weg und freue mich über jeden Fortschritt, den ich dabei mache. Der Weg dahin war kein leichter für mich, aber ich bin stolz darauf, ihn trotzdem gegangen zu sein und dass ich dazu beitragen kann, Autismus aus dem autistischen Blickwinkel weitergeben zu können. Immer noch hört man uns Autisten viel zu selten zu. Aber die Welt ist offener geworden und auch immer mehr Fachleute haben verstanden, wie wichtig und wertvoll unser Blickwinkel ist.


19 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments

Rated 0 out of 5 stars.
No ratings yet

Add a rating
bottom of page